Ehrenamt trotz
Abi-Stress:
Schülerinnen engagieren sich im WPE
Seit gut einem Jahr engagieren sich fünf Schülerinnen des Essener BMV-Gymnasiums ehrenamtlich am Westdeutschen Protonentherapiezentrum (WPE). Initiiert hat das Vorhaben der Essener Verein „Be Strong For Kids“ (BSFK) im Rahmen der Schulkooperation „BSFK Goes School“. Einmal wöchentlich und noch bis zu ihrem Abitur im April kümmern sich Lara (18), Emilia (18), Sophie (18), Ekin (17) und Jezzabel (18) in Absprache mit dem Psychosozialen Dienst um krebskranke Kinder, die zur Bestrahlung ins WPE kommen. Jezzabel kennt die Sorgen und Ängste der jungen Patientinnen und Patienten und ihrer Eltern dabei nur allzu gut: Sie war vor gut zweieinhalb Jahren selbst Patientin am Protonentherapiezentrum. Die Diagnose: ein Kraniopharyngeom.
Diagnose Kraniopharyngeom
Es begann damals alles mit Sehproblemen, einem typischen Symptom dieser Art von Hirntumor, die sich in der Regel im Bereich der Hypophyse und Sehnerv-Kreuzung entwickelt. „Ich war damals beim Arzt und habe gedacht, der meckert mich an, weil ich meine Brille nicht oft genug getragen habe.“ Stattdessen ergab eine Gesichtsfelduntersuchung Auffälligkeiten; ein MRT lieferte schließlich die Gewissheit. „Und das ist dann ganz skurril. Man weiß ja, dass das da nicht hingehört. Das ist ein Fremdkörper und dann auch noch im Kopf.“ Kraniopharyngeome sind zwar gutartige Tumoren, verdrängen jedoch mit ihrem Wachstum zentrale Bereiche im Gehirn. Eine Operation war daher unumgänglich, allerdings konnte der Tumor dabei nicht vollständig entfernt werden. „Deswegen musste ich auch noch bestrahlt werden.“
Behandlung im WPE
Das WPE, erzählt die heute 18-Jährige, sei ihr und ihrer Familie vor zweieinhalb Jahren von „vielen Ärzten, mit denen wir geredet haben, und das nicht nur aus Deutschland, empfohlen worden, weil man sich hier am besten auskennt mit meiner Tumorart.“ 32 Bestrahlungssitzungen hat Jezzabel damals absolviert, „schon eine schwierige Zeit“, auch wenn sie sich während der Therapie am WPE immer wohlgefühlt habe. Schon bei der Anfertigung der Bestrahlungsmaske zum Beispiel: „Mir wurde da zeitweise die Hand gehalten, weil es natürlich schon so ein bisschen realitätsfern ist, wenn ich so darüber nachdenke. Ich war total gesund und dann plötzlich einfach so die Diagnose.“
Psychosozialer Dienst
Der Psychosoziale Dienst am WPE bietet Patientinnen und Patienten sowie ihren Angehörigen entlastende Hilfestellung an. Auf Wunsch besteht die Möglichkeit zur Unterstützung während der gesamten Therapie.
Kraniopharyngeome am WPE
Kraniopharyngeome sind gutartige Hirntumoren. Aufgrund ihrer schwierigen Lage im Gehirn bietet sich oftmals eine Protonentherapie an.
Be Strong For Kids
Vor vier Jahren hat der Mülheimer Sportlehrer Jörn Schulz den Verein „Be Strong For Kids“ im Anschluss an eine private Spendeninitiative ins Leben gerufen. Dessen Ziel: benachteiligte oder erkrankte Kinder und Jugendliche zu unterstützen und zu einem aktiven Lebensstil zu ermutigen. Mittlerweile hat Schulz bereits einige Initiativen gestartet, die auch den jüngsten Patientinnen und Patienten des WPE zugutekamen. Die Aktion „BSFK Goes School“ startete im April 2023 am Essener BMV-Gymnasium. Insgesamt 15 Schülerinnen engagieren sich seitdem in sechs Teilprojekten ehrenamtlich für Kinder und Jugendliche, darunter auch am WPE. Ab April 2024 sind Kooperationen mit weiteren Essener Schulen geplant. Die Schülergruppen erhalten nach dem freiwilligen Jahr eine kleine Ehrenamtspauschale, um ihren Abiball finanzieren zu können.
BSFK Goes School
Als dann im April vergangenen Jahres das Projekt „BSFK Goes School“ an der BMV vorgestellt wurde, war ihr sofort klar, dass sie sich am WPE ehrenamtlich engagieren würde. Und nicht nur sie allein: „Das wir jetzt hier sind, geht auf Jezzabel zurück“, erinnert sich Ekin. „Sie fand die Idee gut, dass wir etwas Schönes mit den Kindern machen, die hier auf ihre Therapie warten. Dass die einfach jemanden bei sich haben, der ihnen Mut macht.“ Nach wie vor ist die 17-Jährige begeistert, dass ihnen in der Schule überhaupt das Angebot gemacht wurde, sich ehrenamtlich einzubringen. Und gerade das, sagt Jörn Schulz, erster Vorsitzender von „Be Strong For Kids“, sei auch Teil des Konzeptes: „Es geht bei Schule um mehr als Wissensvermittlung. Man kann mit diesem Projekt Schule verändern – und das mit unmittelbarer Hilfe der Schülerinnen und Schüler.“
Ehrenamt neben Abi-Vorbereitungen
Seit einem Jahr sind die fünf Mädchen regelmäßig vor Ort. Immer mittwochs von 15.30 bis 16.30 Uhr – und das trotz aller Abitur-Vorbereitungen. Sie basteln, spielen oder toben gemeinsam mit den jungen Patientinnen und Patienten, viele davon gerade erst im Grundschulalter, manche oft noch jünger. Die Kinder kommen aus aller Welt, doch Sprachprobleme, versichern Lara und Ekin, gebe es so gut wie keine. Ekin spricht Türkisch, viele Eltern helfen sich mit Englisch weiter – und die Kinder selbst steigen in aller Regel einfach so begeistert ins Angebot ein. Denn: „Obwohl es ihnen ja eigentlich schlecht geht, haben die trotzdem immer gute Laune“, versichert Sophie.
Unterstützung des PSD
Nutzen dürfen die Schülerinnen unter anderem die Räume und Materialien der Kunsttherapeutin des WPE. Ihre unmittelbare Ansprechpartnerin ist Nicole Stember vom Psychosozialen Dienst (PSD). Die pädiatrische Psychoonkologin ist dankbar für die ehrenamtliche Unterstützung: „Unsere Tätigkeit im psychoonkologischen Team ist häufig geprägt von funktionalen Interventionen: altersentsprechende Bestrahlungsvorbereitung, Vermittlung von Techniken zur Angstreduktion, Krisenintervention. Das Spiel, das auch heilsame Anteile hat, kommt leider häufig zu kurz. Die Schülerinnen bringen durch ihre natürliche Art eine wunderbare Frische ins WPE. Es geht in diesem Moment nur um das Spiel, um das Erleben im Hier und Jetzt, ohne dass etwas Anderes von den kleinen Patienten und Patientinnen erwartet wird als Spaß und Freude an der Sache.“
Das niedrigschwellige Angebot, versichert die Expertin, werde sehr gut angenommen – viele Kinder kämen eigens dazu ins WPE, auch wenn an diesem Tag gar kein Bestrahlungstermin mehr anstehe. Und auch die Eltern, versichert Sophie, seien dankbar für ihre Hilfe. Dafür, dass sie die Kinder durch Spiele vom Bestrahlungsalltag ablenken, aber auch dafür, in dieser Zeit, einfach mal selbst etwas Luft holen zu können. Gerade Jezzabel, die mittlerweile sogar ihre Facharbeit über die Protonentherapie geschrieben hat, versteht es, die Abläufe der Behandlung so zu vermitteln, dass klar wird: Angst vor einer Bestrahlung muss niemand haben. Zugleich hat das ehrenamtliche Engagement auch bei den Schülerinnen selbst etwas bewirkt. Lara etwa kennt das Thema Krebs aus dem direkten Familienumfeld. Die Zeit im WPE, sagt sie, habe ihr geholfen, „das Leben ein bisschen lockerer zu sehen und dankbarer zu sein“.
Neuer Blickwinkel
Vorbereitet auf den Umgang mit Krebspatientinnen und -patienten wurden die Mädchen im Rahmen von Coachings, die „Be Strong For Kids“ organisiert. Emilia: „Da haben wir uns über verschiedene Themen ausgetauscht. Was ist Mitleid, was ist Mitgefühl? Wie gehe ich mit solchen Krankheiten um? Unser letztes Coaching handelte beispielsweise von Resilienz.“ Die 18-Jährige wollte „schon immer“ Medizin studieren. „Und ich würde sagen, dass ich darin bestätigt worden bin. Einfach, weil ich immer noch gerne Menschen helfe, immer noch einen sozialen Beruf ausüben will und in dieser Kompetenz gestärkt worden bin.“ Ähnliches gilt für Sophie: Die ehrenamtliche Arbeit im WPE, da ist sie sicher, habe ihre Perspektive verändert. „Ich wollte eigentlich eher Jura studieren. Jetzt denke ich schon mehr in Richtung Medizin oder irgendwas Soziales. Denn mir hat das echt Spaß gemacht.“ Es seien die kleinen Momente – der Junge mit dem Augenpflaster, der bei der Schatzsuche zum Piraten wird, das Läuten der Glocke zum Abschluss einer Therapie – die eine echte Belohnung seien. Und auch Jezzabel denkt an ein Medizinstudium, explizit an Kindermedizin. „Denn es scheint so, als wären die Kinder, egal was ist, irgendwie immer glücklich. Und sie machen einen selbst auch glücklich.“
Noch bis April 2024 sind die fünf einmal wöchentlich vor Ort. Dann wollen sie ihre Jobs als Ehrenamtlerinnen an die nächste Generation von BMV-Schülerinnen und -Schülern weitergeben. Bis dahin planen sie aber noch so einiges für die Kinder. Gemeinsam wollen sie zum Beispiel Steine bemalen – oder vielleicht auch Bestrahlungsmasken. Auch Jezzabel könnte sich vorstellen, ihre Maske zu gestalten. „Die Maske liegt bei mir im Schrank, und ich sehe sie ab und zu. Ich habe auch schon überlegt, sie anzumalen und irgendwo aufzuhängen, weil das ja schon irgendwie cool aussieht, wie ein Kunstwerk. Hier im WPE hängen einige ganz tolle. Ich habe Spidermann und Prinzessin Lillifee gesehen.“ Auch die Mutperlenkette, die sie vor zweieinhalb Jahren am WPE Perle für Perle aufgezogen hat – eine für jede Bestrahlung und Untersuchung – hat sie noch. Sie hängt über ihrem Bett – und begleitet sie als Glücksbringer in die Abiturklausuren.
Kontakt im WPE
Jede Kontaktaufnahme erfolgt über unser Case-Management – der Schnittstelle zwischen Ihnen und unserem Team.
Das Case-Management unterstützt Sie bei grundsätzlichen Fragen, der Zusammenstellung Ihrer Unterlagen, bei der Kostenübernahme, sowie bei Reise und Unterkunft und beantwortet alle Ihre aufkommenden Fragen. Es stellt auch den Kontakt zu unseren Strahlentherapeutinnen und -therapeuten her.
Case Management
Telefon: 0201 723 6600