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Junge Erwachsene berichten: Ihr Leben mit und nach dem Krebs
Erfahrungsberichte aus dem e-QuoL-Projekt
Wie ist es, Krebs in der Kindheit, Jugend oder jungen Erwachsenenalter zu erleben?
Drei Menschen, die den Krebs in der Kindheit, Jugend oder im jungen Erwachsenenalter überlebt haben, teilen ihre Erfahrungen und die Herausforderungen, mit denen sie nach der Erkrankung konfrontiert waren.
Erfahrungswerte von Überlebenden von Krebs im Kindes-, Jugend- und jungen Erwachsenenalter sind ein wichtiger Bestandteil des europäischen e-QuoL-Projekts, das darauf abzielt, ihre Lebensqualität durch digitale Ressourcen in ganz Europa zu verbessern. Im WPE liegt der Fokus der strahlentherapeutischen Patientenbehandlung und Forschung auf der Verbesserung der Lebensqualität nach einer Krebserkrankung. Als einziges Zentrum in Deutschland tragen wir in dem Projekt e-Quol maßgeblich zur Identifizierung der Bedürfnisse von Betroffenen aus Deutschland bei, insbesondere von Patient:innen, die eine Protonentherapie erhalten haben. Die im Rahmen des Projektes entwickelten digitalen Ressourcen werden von den jungen Überlebenden auch am WPE getestet und bewertet.
Anne-Sophie Gresle und Kristen Thornton fragten die Überlebenden, die an e-QuoL-Workshops in Spanien und Norwegen teilnahmen, ob sie ihre Erfahrungen teilen möchten. Yaiza, Saskia und Samuel nahmen großzügig die Herausforderung an und erzählen hier einige ihrer persönlichsten Geschichten.
Yaiza Cumelles, Patientenvertreterin: „Die Nachwirkungen sind unsichtbar“
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Mein Name ist Yaiza und als ich 21 Jahre alt war, wurde bei mir Lymphom diagnostiziert, eine Form von Blutkrebs.
In diesem Moment war mein Geist überwältigt, voller Fragen… „Warum ich? Habe ich das selbst verursacht? Wie konnte ich in so jungen Jahren Krebs bekommen?“ Auch wenn ich nie eine Antwort fand, ging ich die Behandlung mit Optimismus und dem starken Wunsch an, mich zu erholen, um ein „normales Leben“ zurückzuerlangen.
Ich verbrachte viel Zeit im Krankenhaus, war oft zur Behandlung dort. Ich fühlte mich immer wie ein Außenseiter, als ob ich nicht dazugehörte. Ich war immer die Jüngste. Meine Zimmergenossinnen waren im Alter meiner Großmutter, und obwohl ich die „Lieblingspatientin“ auf der Station war, war das Einzige, was mich wirklich einbezog, der Blickkontakt mit jemandem in meinem Alter im Wartezimmer. Meine Krankheit wurde komplizierter, und über die Jahre musste ich mehrere Behandlungsrunden durchlaufen, bis ich schließlich eine Knochenmarktransplantation bekam, die meine Krankheit in Remission versetzte.
Ich musste mein Studium und meinen Job aufgeben und meine Freundschaften verschlechterten sich so sehr, dass sich viele meiner Freunde dauerhaft von mir distanzierten. Ich beobachtete, wie alle um mich herum mit ihrem Leben weitermachten – Partnerschaften fanden, Kinder bekamen, neue Jobs fanden, reisten, feierten – während ich nur krank im Krankenhaus lag.
Im Laufe dieses Prozesses vermisste ich es sehr, einen Raum zu haben, in dem ich über Dinge sprechen oder Informationen finden konnte, die über meine medizinische Diagnose hinausgingen – Themen wie Sexualität, Arbeit, meine Ängste für die Zukunft und was ich tun könnte, um meine Lebensqualität zu verbessern. Alle Informationen, die ich online fand, waren von und für Ärzte geschrieben. Haben nicht auch Patienten ein Recht auf diese Informationen?
Deshalb wurde mir klar, dass ich nach meiner Remission nicht nur nichts mit meinen Freunden gemeinsam hatte, sondern auch nichts von den Dingen erlebt hatte, die man von einer Frau in ihren Zwanzigern erwartet. Ich hatte kaum außerhalb des Krankenhauses gelebt und fühlte mich während des gesamten Prozesses unglaublich einsam. Ich sehnte mich nach Informationen, die über den Krebs hinausgingen – vor allem über das, was danach kommt: der Kampf, einen Job zu finden, soziale Ängste, körperliche Veränderungen und die bleibenden Auswirkungen der Krankheit.
Es ist ein schwieriger Alltag für mich, nachdem ich das aggressive Lymphom besiegt habe. Ich habe das Gefühl, gegen den Strom zu schwimmen. Die Nachwirkungen sind unsichtbar und ich spüre ständig den Druck, so zu leben, als wäre nichts passiert.
Obwohl der Krebs einen Teil meines Lebens genommen hat und ich mehr Zeit mit Überleben verbracht habe als mit wirklichem Leben, habe ich gesehen, wie Technologie es Patienten ermöglicht, sich zu vernetzen, sich gegenseitig zu unterstützen, zuverlässige und verständliche Informationen zu erhalten und mehr Kontrolle über unsere Gesundheit zu übernehmen. Es mag noch keine Heilung für Krebs geben aber ich freue mich zu sehen, dass zukünftige Generationen zunehmend gestärkt werden, mit ihrer Situation umzugehen.
Saskia Degen: „Das ‚Nach dem Krebs‘ zählt“
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Mein Name ist Saskia und ich erhielt im Alter von zwei Jahren die Diagnose Neuroblastom.
Für mich gibt es kein Leben vor und nach dem Krebs, nur das Leben danach. Über 20 Jahre dachte ich, dieser Krebs könnte keine Auswirkungen auf mein Leben haben, weil ich zu jung war, um mich an etwas zu erinnern.
Aber wenn ich jetzt zurückblicke, gibt es viele körperliche Probleme, Ängste und Sorgen, die tatsächlich durch den Krebs verursacht wurden und die mein aktuelles Leben wirklich beeinflussen.
Ich habe wirklich versucht, all die negativen Gefühle, die ich jahrelang hatte, beiseite zu schieben. Ich sagte mir: „Ich muss dankbar sein“, „Ich darf das nicht fühlen, anderen geht es schlechter“ und so weiter.
Nach einem psychischen Tief weiß ich jetzt: Krebs hat Auswirkungen auf das Leben eines jeden, weil das „Nach dem Krebs“ zählt und nichts mehr so sein wird wie vorher. Zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben hätte ich mich über eine App gefreut, die mir gezeigt hätte, welche Spätfolgen Krebs haben kann und wie ich Kontakt zu Überlebenden von Krebs im Kindes-, Jugend und jungen Erwachsenenalter (sog. CAYACS) aufnehmen kann.
Jeder Überlebende verdient es, das Beste aus dem Leben nach dem Krebs zu machen und die heutige Technologie kann dies durch den Zugang zu Informationen, Hilfe und die Vernetzung von Überlebenden möglich machen.
Samuel Degen: „Die Diagnose machte mich rasend“
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Mein Name ist Samuel und ich hatte die Diagnose Hodgkin Lymphom im Alter von 19 Jahren.
Im Rückblick wäre es zu diesem Zeitpunkt besonders wertvoll gewesen, wenn mir jemand Zeit genommen hätte, zuzuhören und die psychologischen Auswirkungen meiner Krebserkrankung zu erklären oder irgendeine Art von Ressource, um dies zu verstehen – sei es eine App, eine Plattform zum Austausch mit anderen Überlebenden oder eine andere Informationsquelle.
Stattdessen machte mich die Diagnose wütend. Ich ging damals zur Universität und studierte Wirtschaft und alles, was ich tun wollte, war feiern, schnell meinen Abschluss machen und viel Geld verdienen. Stattdessen musste ich mich einer Operation und monatelanger Chemotherapie und Strahlentherapie unterziehen. Es machte mich krank, ich verlor mein Kurzzeitgedächtnis und all meine körperliche Energie.
Ehrlich gesagt war ich auch extrem verängstigt und deprimiert. Aber das hätte ich mir und anderen gegenüber nie zugegeben. Niemand fragte auch danach. Also beschloss ich, wütend zu sein, es zu ignorieren und zu trinken und Drogen zu nehmen, bis ich nichts mehr fühlte und keine Angst oder Frustration mehr spürte.
Das ging so ein paar Monate, bis ich an einem Wendepunkt angelangt war und meine Selbstverleugnung nicht mehr aushielt. Zuerst versuchte ich, mich umzubringen. Das funktionierte nicht – zum Glück. Also musste ich mich meiner Realität stellen. Ich konnte nicht mehr zur Universität gehen, weil mein Gedächtnis kaputt war. Außerdem wurde mir klar, dass ich kein Wirtschaftsstudium absolvieren wollte, in dem ich von reichen Idioten umgeben bin, die nur an sich denken. Also arbeitete ich schließlich für eine Werbeagentur, bei der ich vorher ein Praktikum gemacht hatte.
Obwohl ich noch 10 Jahre lang mit Depressionen, Verleugnung und Drogenmissbrauch zu kämpfen hatte, bis ich meine psychischen Probleme endlich behandeln ließ, gelang es mir, eine ziemlich interessante Karriere in der Werbung aufzubauen.
Heute bin ich geschäftsführender Partner einer Agentur, seit 9 Jahren komplett abstinent und, was am wichtigsten ist, Ehemann und Vater eines wunderbaren kleinen Jungen. Also, egal wie verdammt schwer es zu sein scheint, meine Lektion lautet: Es gibt Hilfe, und niemand sollte verängstigt oder zu stolz sein, darum zu bitten. Es gibt viel Gutes, das auf einen wartet. Oder so ähnlich.
Das Westdeutsches Protonentherapiezentrum Essen (WPE)
Das Westdeutsche Protonentherapiezentrum Essen (WPE) behandelt jedes Jahr ca. 300 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre und ist damit das größte strahlentherapeutische Zentrum Europas im Bereich der Kinder- und Jugendradioonkologie. Aufgrund der technischen und physikalischen Eigenschaften der Protonentherapie ist sie besonders für viele junge Patientinnen und Patienten vorteilhaft.
Pressekontakt
Westdeutsches Protonentherapiezentrum Essen (WPE)
Medizinische Leiterin: Prof. Dr. med. Beate Timmermann
Hufelandstraße 55
45147 Essen
Redaktion: Dr. Eugenia Werbenko und Sr. Stefanie Schulze Schleithoff, Tel. 0201-723-6607, E-Mai schreiben
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Der Artikel ist die Übersetzung eines Beitrags der e-QuoL-Projektgruppe. Die drei darin vorkommenden und ehemals an Krebs erkrankten Patient:innen wurden nicht im WPE oder mit einer Protonentherapie behandelt. Wir wollen den Beitrag jedoch teilen, weil in ihm die Herausforderungen nach einer Krebstherapie insbesondere für junge Erwachsene thematisiert wird. Die oft keine Anlaufstelle für ihre unterschiedlichen Herausforderungen haben. Dies war auch der Grund, uns an dem europäischen e-QuoL-Projekt zu beteiligen, um jungen Erwachsenen und ihren Angehörigen nach einer Krebstherapie mit einer gemeinsam zu entwickelnden App zur Seite zu stehen.
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e-QuoL: europäisches Kooperationsprojekt
Das europäische Projekt e-QuoL will Kindern und jungen Erwachsenen, die mit einer Krebserkrankung leben oder überlebt haben, speziell für sie und mit ihnen entwickelte E-Health-Tools zur Verfügung stellen, die ihnen helfen sollen, ihre Gesundheit zu verwalten.