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Kinderanästhesie am WPE – Informationen für Eltern

Das Programm für die Strahlentherapie von Kindern am WPE ist das größte seiner Art in Deutschland. Jährlich bestrahlen wir etwa 300 Kinder und Jugendliche im Alter von bis zu 18 Jahren, mehr als die Hälfte von ihnen ist unter sieben Jahre alt. Denn gerade in dieser Patientengruppe kann die Protonentherapie ihre Vorteile als besonders schonende und exakte Bestrahlungsform ausspielen: Sie schont das noch kindliche Gewebe bestmöglich und reduziert etwaige Spätfolgen.

Damit der jeweilige Tumor jedoch möglichst präzise bestrahlt werden kann, ist es unumgänglich, dass auch unsere jüngsten Patientinnen und Patienten für eine gewisse Zeit absolut still liegen bleiben und eine vorgegebene Position einhalten. Gerade bei sehr jungen Kindern, typischerweise im Alter von bis zu sechs Jahren, ist das aus unterschiedlichen Gründen – von Neugierde und Bewegungsdrang bis Angst vor der ungewohnten Situation – oft nur schwer möglich. In diesen Fällen kann es sinnvoll sein, die Kinder vor der Bestrahlung zu sedieren. Sedieren bedeutet: Ihr Kind wird mit Medikamenten „schlafen gelegt“. Am WPE übernimmt diese Aufgabe ein Anästhesie-Team, das auf die ambulante Versorgung von Kindern spezialisiert ist. 

Vielleicht kennen Sie das Verfahren bereits aus Vordiagnostiken wie MRT oder CT. Um Ihnen dennoch mögliche Sorgen und Ängste vor der Sedierung Ihres Kindes während der Protonenbestrahlung zu nehmen, möchten Ihnen hier die wichtigsten Fragen zum Thema Kinderanästhesie am WPE beantworten.

Warum kann eine Sedierung in Einzelfällen sinnvoll sein?

Eine Bestrahlung ist für sehr junge Patientinnen und Patienten nicht nur ungewohnt, sondern auch anstrengend. Sie kann zudem mit Verunsicherung und Stress verbunden sein – aus unterschiedlichen Gründen:

  • Die erkrankten Kinder haben in aller Regel bereits einige medizinische Eingriffe und zahlreiche Begleituntersuchungen hinter sich, an die sich nun „auch noch“ eine mehrwöchige Bestrahlung anschließt.
  • Unsere jungen Patientinnen und Patienten kommen aus ganz Deutschland, aus Europa und dem weiteren Ausland und müssen deshalb zusätzlich zu Anreise und Therapie auch die zeitweise Trennung von ihrem gewohnten (sozialen) Umfeld und oft auch von Teilen ihrer Familie bewältigen.
  • Hinzu kommt während der eigentlichen Bestrahlung in der Gantry die kurzzeitige Trennung von ihren unmittelbaren Bezugspersonen vor Ort.
  • Je nach Lage des Tumors sind ungewohnte Bestrahlungsmasken und Lagerungshilfen notwendig, um eine exakte Bestrahlungsposition zu garantieren. Während der Bestrahlung müssen die Kinder zudem absolut still liegen, um den Behandlungserfolg nicht zu gefährden.

Aber nicht nur möglicher Stress und etwaige Belastungen spielen bei den Überlegungen, ob eine Sedierung sinnvoll sein könnte, eine Rolle. Auch Neugierde, Spiel-, Bewegungs- und Entdeckerdrang können dazu führen, dass Ihr Kind während der Bestrahlung nicht still liegen möchte.

Eine kurzzeitige Sedierung kann also mitunter notwendig sein, um

  • Ihrem Kind anstrengende Therapien und die kurzzeitige Trennung von Ihnen während der eigentlichen Bestrahlung zu erleichtern und
  • um den Erfolg der Protonentherapie und damit die Heilungschancen nicht zu gefährden.
Während der Bestrahlung müssen die Kinder absolut still liegen, um den Erfolg der Therapie nicht zu gefährden. Deshalb kann bei Kindern eine Sedierung notwendig sein.
Je nach Lage des Tumors sind für die Kinder ungewohnte Bestrahlungsmasken und Lagerungshilfen notwendig, um eine exakte Bestrahlung zu ermöglichen, so dass eine Sedierung sinnvoll sein kann.

Wer entscheidet, ob eine Sedierung Ihres Kindes notwendig ist?

Grundsätzlich haben wir es uns zur Regel gemacht, so wenige Sedierungen wie möglich durchzuführen. Eine Überforderung unserer kleinen Patienten und Patientinnen müssen wir allerdings ebenso unbedingt vermeiden. Die Entscheidung, ob eine solche Maßnahme sinnvoll und notwendig ist, erfolgt immer individuell und interdisziplinär. Das heißt: Sie ist immer vom Einzelfall abhängig und wird – immer in Absprache mit Ihnen als Eltern – gemeinsam von unseren Spezialisten unter anderem aus den Bereichen Strahlentherapie, Onkologie, Anästhesie und MTRA getroffen.

In die Entscheidung fließen unter anderem

Welche Anästhesieform wird am WPE durchgeführt?

In den allermeisten Fällen werden unsere jungen Patientinnen und Patienten nur kurzzeitig sediert, das heißt, sie schlafen tief und können selbstständig weiteratmen. Das entsprechende Medikament (Sedativum) wird intravenös verabreicht. Belastende Vollnarkosen, die eine Beatmung erfordern, sind am WPE die absolute Ausnahme.

Die Kinder schlafen bei einer Sedierung tief und können selbstständig weiteratmen. Das entsprechende Medikament (Sedativum) wird intravenös verabreicht.

Worin unterscheiden sich Vollnarkose und Sedierung?

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird häufig nur der Begriff Narkose genutzt und allenfalls zwischen Vollnarkose und leichter Narkose unterschieden. Im medizinischen Sinne gibt es so etwas wie eine „leichte Narkose“ jedoch nicht, stattdessen wird hier von einer Sedierung, manchmal auch Sedation genannt, gesprochen. Der wichtigste Unterschied: Eine Vollnarkose schaltet nicht nur den möglichen Schmerz einer Operation aus, sondern auch die Muskelspannung – und damit letztlich die eigenständige Atmung. Hier braucht es dann ein Beatmungsgerät, über das die Patientinnen und Patienten via Maske oder Tubus, einem Schlauch, der in die Luftröhre eingeführt wird, beatmet werden.

Bei einer Sedierung hingegen bleibt die Spontan-Atmung erhalten, die Patientinnen und Patienten fallen lediglich in eine Art Dämmerschlaf. Diese Variante, also die Sedierung, ist im Rahmen des kinderonkologischen Programms am WPE in mehr als 95 Prozent aller Fälle, in denen ein solcher Eingriff angezeigt ist, die Regel.

Welche Besonderheiten sind bei der Sedierung von (krebserkrankten) Kindern zu beachten?

In der Kinderanästhesie müssen zahlreiche psychosozialen und physiologischen Besonderheiten beachtet werden. Erhält Ihr Kind parallel zur Bestrahlung beispielsweise eine Chemotherapie, besteht aufgrund der Immunsuppression eine erhöhte Neigung zu Infekten, insbesondere im Bereich der Atemwege. Gerade bei Kleinkindern kann das – ausdrücklicher noch als bei Erwachsenen – ein nicht zu unterschätzendes Risiko für die Anästhesie bedeuten, das im Vorfeld jeder Bestrahlungssitzung abgeklärt werden muss. Darüber hinaus verteilt sich zum Beispiel die Körperflüssigkeit bei Kindern anders als bei Erwachsenen. Sie benötigen bei der Sedierung daher eine angesichts des Körpergewichts vergleichsweise höhere Medikamentendosierung.

Anders gesagt: Kinderanästhesie braucht Erfahrung und Fachwissen. Um das Risiko für Ihr Kind so gering wie möglich zu halten, kommen am WPE deshalb Fachärztinnen und Fachärzte des AnästhesieNetz Rhein-Ruhr zum Einsatz.

Aktuelle Zahlen

Das kinderonkologische Programm am WPE ist das größte seiner Art in Deutschland. Entsprechend groß ist auch unsere Expertise bei der Sedierung unserer jungen Patientinnen und Patienten.

Bis zum Frühjahr 2022 wurden über 1000 Kinder im WPE sediert. Unser Anästhesie-Team absolviert derzeit ca. 25 Sedierungen pro Tag.

Kooperation mit dem AnästhesieNetz Rhein-Ruhr

Kinderanästhesie ist eine Aufgabe für Expertinnen und Experten. Wir arbeiten am WPE deshalb mit dem AnästhesieNetz Rhein-Ruhr zusammen, das auf die ambulante Versorgung von Kindern spezialisiert ist und bereits in die Planungen des Anästhesiebereichs am WPE beratend eingebunden war. Die Spezialisten aus Bochum sind mit bis zu drei Teams nahezu täglich am WPE im Einsatz und pro Gantry mit zwei Fachärzten oder Fachärztinnen für Anästhesie und jeweils einer eigenen Pflegekraft vertreten. Hinzu kommt pro Team eine weitere Pflegekraft für den Aufwachraum.

In eigenen Evaluations- und Aufklärungsgesprächen machen sich unsere Anästhesistinnen und Anästhesisten ein genaues Bild von der Erkrankung Ihres Kindes, seiner Medikation und möglichen Befindlichkeiten und nehmen sich Zeit für Ihre Fragen. Während Ihres kompletten Aufenthalts am WPE steht Ihnen dabei möglichst immer dieselbe Ansprechperson zur Verfügung. Das ist hilfreich für Sie und unterstützt den Vertrauensaufbau bei Ihrem Kind.  

Herausforderung Nüchternheit

Ein weiterer wichtiger Aspekt, den wir bei den Überlegungen, ob eine Sedierung Ihres Kindes angeraten ist oder nicht, gemeinsam mit Ihnen besprechen werden, ist das Thema Nüchternheit. Hierbei geht es um die Vermeidung einer möglichen, u.U. gefährlichen  Aspiration (d.h. das Gelangen von Mageninhalt in die Luftwege) während der Sedierung, die zu einer Beeinträchtigung der Atmung oder Entzündung der Lungen führen kann. Die Nüchternheit bedeutet: Ihr Kind darf mehrere Stunden vor der Sedierung nicht mehr essen und trinken – und das an jedem einzelnen Bestrahlungstag und über die gesamte Dauer der Therapie. Das ist gerade kleinen Kindern nicht nur schwer zu vermitteln, sondern stellt Sie als Eltern durchaus auch vor logistische Herausforderungen.

Grundsätzlich raten wir dazu, dass die Kinder bei fester Nahrung mindestens sechs Stunden, bei (Mutter-)Milch vier Stunden und bei klaren Flüssigkeiten zwei Stunden nüchtern sind.

Weitere wichtige Aspekte zur Sedierung von Kindern

Ambulant und so kurz wie möglich

Wie oft und wie lange Ihr Kind sediert werden muss, hängt zunächst einmal davon ab, welcher Bestrahlungsplan mit wie vielen einzelnen Fraktionen (Bestrahlungssitzungen) in Ihrem Fall berechnet wurde. Die Bestrahlung wiederum richtet sich unter anderem nach der Tumorgröße. Sie dauert in der Regel nur wenige Minuten bis maximal eine Stunde, selten länger.

Die Sedierung selbst beginnt wenige Minuten vor der Protonenbestrahlung und geht nur kurz darüber hinaus. Sie erfolgt ebenso wie die Bestrahlung ambulant. Das heißt: Sie und Ihr Kind dürfen nach einer gewissen Zeit im Aufwachraum wieder nach Hause. Die Voraussetzung: Ihr Kind ist vollständig wach und hat etwas gegessen und getrunken.

Außer bei der eigentlichen Bestrahlung im Behandlungsraum („Gantry“) dürfen Sie oder ein anderes Familienmitglied jederzeit bei Ihrem Kind bleiben – also sowohl bei der Einleitung der Sedierung als auch später im Aufwachraum. Ihr Kind bemerkt so Ihre Abwesenheit gar nicht. Auch auf diese Weise wollen wir dazu beitragen, dass Ihr Kind Vertrauen zu unserem Team aufbaut und sich im WPE sicher, wohl und gut aufgehoben fühlt.

Wir verwenden in der Kinderanästhesie am WPE mit der Monosubstanz Propofol den weltweiten Goldstandard und eines der am häufigsten verwendeten Medikamente zur intravenösen Einleitung von Sedierungen. Das Medikament hat sich bewährt und gilt als nebenwirkungsarm, gerade im Hinblick auf Einschränkungen der Atmung (Atemdepression).

Für die Anästhesie spielt die Tumorentität, also die konkrete Art der Krebserkrankung, prinzipiell nur eine untergeordnete Rolle. Allerdings bestimmen Größe und genaue Lage des Tumors auch die Art und Weise, wie Ihr Kind bei der Bestrahlung gelagert wird, also ob es beispielsweise eine Bestrahlungsmaske tragen oder in einer speziellen Halterung liegen muss, was wiederum nicht alle Kinder im wachen Zustand tolerieren.

Die Sedierung im Rahmen einer Protonentherapie am WPE ist immer eine Einzelfall-Entscheidung. Es gibt junge Kinder, die kein Problem damit haben, allein in der Gantry eine Bestrahlung zu absolvieren. Und es gibt Jugendliche, die genau das nicht schaffen.

Aus langjähriger Erfahrung verorten wir die Altersgrenze, bis zu der eine Mitarbeit der Kinder während der Bestrahlung nur schwer möglich ist, bei etwa sechs Jahren.

Manchmal entscheidet einfach die Tagesform: Auch wenn Ihr Kind bereits einige Sitzungen ohne Sedierung absolviert hat, ist unser Anästhesie-Team im Rahmen einer Standby-Planung immer vor Ort, um notfalls einzugreifen. Das gilt auch für vorbereitende Untersuchungen wie MRT oder CT. Und auch im gegensätzlichen Fall ist eine Änderung der Abläufe problemlos möglich: Hat sich Ihr Kind an die Abläufe im WPE gewöhnt, Vertrauen zum behandelnden Team gefasst und keine Angst mehr, kann die Bestrahlung selbstverständlich auch ohne weitere Sedierungen fortgesetzt werden.

Eine Sedierung unserer erwachsenen Patientinnen und Patienten ist nur in absoluten Ausnahmefällen möglich – beispielsweise bei psychiatrischen Erkrankungen oder wenn die Tumorerkrankung schon sehr weit fortgeschritten und die notwendige Lagerung deshalb sehr schmerzhaft ist.

Nach der Behandlung geht es in den Aufwachraum. Sobald ihr Kind wieder vollständig wach ist und etwas gegessen und getrunken hat, dürfen Sie und ihr Kind wieder nach Hause.

Pilotstudie am WPE

Links:

Weitere Informationen: Anästhesie-Beitrag in „WIR“

Im vierten Teil der sechsteiligen Reihe zur Strahlentherapie im Magazin „WIR“ der Deutschen Kinderkrebsstiftung hatte Prof. Beate Timmermann die Abläufe der Anästhesie im Rahmen einer Strahlentherapie bei Kindern und Jugendlichen vorgestellt.

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Anästhesie-Beitrag
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